Oshowski Andreas Sind Sie so gehorsam, dass man Ihre Widerspenstigkeit erkennt?
Aus aktuellem Anlass denkt Autor Andreas Oshowski in dieser Woche über die Bedeutung von Gehorsam nach.
In einer früheren beruflichen Tätigkeit hatten die Auftraggeber mir sogar einmal zugetraut, selbst Führungskräfte auszubilden und zu ernennen. In dieser Situation hat einmal einer meiner Nachfolger (mit dem ich bis heute über ein soziales Netzwerk verbunden bin) gesagt: „Was hast du mir denn da für widerspenstige Führungskräfte in dieser Betriebsstelle übergeben?“ Die Frage richtete sich wohl danach, warum diese Führungskräfte häufig widersprechen und nicht einfach tun, was man ihnen sagt. Es ist die Frage nach dem Gehorsam!
Sobald ihr Ohr hört, sind sie mir gehorsam, mir schmeicheln die Söhne der Fremde.Die Bibel (Buch der Psalmen 18, 45)
Auch in der Bibel wächst Gehorsam von denen, von denen es kaum zu erwarten ist. Die Bestätigung, die Gefolgschaft, der Gehorsam erfolgt von außerhalb des Systems, aus der Fremde, vom Anderen. Nicht umsonst hat der französische Jesuit Michel Certeaux ein Buch über den Fremden geschrieben: l’etranger. Er stellt fest: „Die Anderen fehlen uns!“1 Vielleicht haben sich die Anderen abgewendet, weil wir zu wenig Widerspenstigkeit ausgehalten haben? Wirtschaftlich genauso wie kirchlich? Ein Kardinal hat sich vor kurzem widersetzt, weil er seinen Rücktritt angeboten hat und seinen Brief an den Papst hat er unterschrieben mit den Worten „Ihr gehorsamer Reinhard Kardinal Marx“2.
Der Gedanke, der mich heute bewegt
Wie gesagt: Widerspenstige Führungskräfte waren mir noch nie suspekt … Auch mir fehlen die Töchter und Söhne der Fremde!
1 Christian Bauer, Gott anderswo?, S. 57, Grünewald-Verlag
2 https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-06/brief-papst-franziskus-kardinal-marx-ruecktritt
